Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Mietzahlungspflicht für gewerblich genutzte Räume in der Zeit einer behördlich angeordneten Geschäftsschließung während der COVID-19-Pandemie

Was war passiert?
Wir verweisen zunächst auf unsere Nachricht unter „Aktuelles“ auf unserer Internetpräsenz vom Tag der Verhandlung. Die Beklagte hatte von der Klägerin Gewerberäume für ein Einzelhandelsgeschäft gemietet. Sie verkauft Textilien aller Art sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs. Aufgrund der COVID-19-Pandemie erließ das Land Sachsen im März 2020 Allgemeinverfügungen, aufgrund derer die Beklagte ihr Geschäft im Mietobjekt vom 19. März 2020 bis einschließlich 19. April 2020 schließen musste. Deshalb zahlten sie für den Monat April 2020 keine Miete. Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht dieses Urteil aufgehoben und die Beklagte - unter Abweisung der Klage im Übrigen - zur Zahlung von nur 50% der Miete verurteilt. Es meint, wegen der Pandemie und der o.g. Schließungsanordnung auf Grundlage der Allgemeinverfügungen sei eine Störung der Geschäftsgrundlage des Mietvertrags i.S.v. § 313 Abs. 1 BGB eingetreten. Der Vertrag sei anzupassen, die Miete auf die Hälfte reduziert.

Wie entscheidet der BGH?
Der Bundesgerichtshof hat das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache dorthin zurückverwiesen. Er urteilt: im Fall einer Geschäftsschließung aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie komme grds. ein Anspruch des Gewerbemieters auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht.
Ein Anspruch ist nicht nach Art. 240 § 2 EGBGB ausgeschlossen. Denn dieser Artikel sagt nach dem eindeutigen Wortlaut und dem Gesetzeszweck nichts zur Höhe der geschuldeten Miete aus.
Die Betriebsschließung hat nicht zu einem Mangel des Mietgegenstands i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB geführt, eine Minderung der Miete nach § 536 Abs. 1 BGB scheidet aus.
Dem Gewerbemieter kann jedoch im Fall einer Geschäftsschließung aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie grundsätzlich ein Anspruch auf Anpassung der Miete gemäß § 313 Abs. 1 BGB zustehen.
Allein der Wegfall der Geschäftsgrundlage berechtigt jedoch noch nicht zu einer Vertragsanpassung. Es muß als weitere Voraussetzung festgestellt sein, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am alten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Beruht die enttäuschte Gewinnerwartung des Mieters wie vorliegend auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der Pandemie- wie einer Betriebsschließung für einen gewissen Zeitraum-, so geht dies über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus. Denn die wirtschaftlichen Nachteile sind Folge der staatlichen Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur Bekämpfung der Pandemie, für die keine der beiden Vertragsparteien verantwortlich gemacht werden kann. Durch die Pandemie hat sich letztlich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das von der mietvertraglichen Risikoverteilung ohne eine entsprechende vertragliche Regelung nicht erfasst wird. Das damit verbundene Risiko kann regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden.
Ob dem Mieter ein Festhalten an dem alten Vertrag unzumutbar ist, bedarf auch dann einer umfassenden Abwägung. Eine pauschale Betrachtungsweise wie bei dem Urteil des OLG („50/50“) wird diesen Anforderungen des § 313 BGB nicht gerecht. Es bedarf vielmehr einer umfassenden und auf den Einzelfall bezogenen Abwägung. Hier ist zuerst wichtig, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind. Sie werden bei einem gewerblichen Mieter primär in einem konkreten Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung bestehen, wobei jedoch nur auf das konkrete Mietobjekt und nicht auf einen möglichen Konzernumsatz abzustellen ist. Es kann auch zu berücksichtigen sein, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern. Ferner sind bei der Prüfung der Unzumutbarkeit auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum endgültigen Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat und auch Leistungen einer ggf. einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters. Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters ist nicht erforderlich. Schließlich sind bei der gebotenen Abwägung auch die Interessen des Vermieters einzubeziehen.
Urteil des BGH vom 12. Januar 2022 – XII ZR 8/21

Ergebnis
Nach der Verhandlung vom Dezember 2021 war die Entscheidung in dieser Form zu erwarten. Das Oberlandesgericht muß nach der Zurückverweisung prüfen, welche konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen die Geschäftsschließung in dem betroffenen Zeitraum für die Beklagte hatte und ob diese Nachteile ein solches Ausmaß erreicht haben, das eine Anpassung des Mietvertrags erforderlich macht.
Für die künftige Mietvertragsgestaltung ist es wichtig, Regelungen zur Risikoverteilung (z.B. Versicherungspflicht des Mieters, konkrete Regelungen zur Betrachtungsweise --filial- oder auf das Gesamtgeschäft des Mieters bezogenen Prüfung der Zumutbarkeit u.a.--) zu treffen. Wir beraten Sie gerne.