Bundesgerichtshof zu Ansprüchen des Mieters bei coronabedingten Geschäftsschließungen

Verhandlungstermin des Bundesgerichtshofs am 1. Dezember 2021 in Sachen XII ZR 8/21 (Mietzahlungspflicht bei coronabedingter Geschäftsschließung)

Der u.a. für das gewerbliche Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat heute, am 1. Dezember 2021, über die Rechtsfrage verhandelt, ob ein Mieter von gewerblich genutzten Räumen für die Zeit einer behördlich angeordneten Geschäftsschließung während der Corona-Pandemie zur vollständigen Zahlung der Miete verpflichtet ist. Eine Entscheidung wird im Verkündungstermin am 12.1.2022 veröffentlicht. Wir fassen bereits heute den Bericht eines Rechtsanwalts bei dem Bundesgerichtshofs aus der Verhandlung zusammen:
I.
Zum Sachverhalt (aus der Pressemitteilung des BGH):

Die Beklagte hat von der Klägerin im Bezirk des Landgerichts Chemnitz gelegene Räumlichkeiten zum Betrieb eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art, sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs gemietet. Aufgrund des sich im März 2020 in Deutschland verbreitenden SARS-CoV-2-Virus (Corona-Pandemie) erließ das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt am 18. März 2020 eine Allgemeinverfügung, nach deren Ziffer 1 in Sachsen grundsätzlich alle Geschäfte geschlossen wurden, soweit sie nicht unter die in der Allgemeinverfügung ausdrücklich benannten Ausnahmen fielen. Diese Allgemeinverfügung trat am 19. März 2020 um 0:00 Uhr in Kraft und wurde ab dem 22. März 2020, 0:00 Uhr von einer weiteren Allgemeinverfügung vom 20. März 2020 ersetzt, nach deren Ziffer 2, übereinstimmend mit der Allgemeinverfügung vom 18. März 2020, Geschäfte grundsätzlich geschlossen wurden, soweit nicht die in der Allgemeinverfügung vom 20. März 2020 formulierten Ausnahmen eingriffen. Aufgrund der genannten Allgemeinverfügungen musste die Beklagte ihr Textileinzelhandelsgeschäft im Mietobjekt vom 19. März 2020 bis einschließlich 19. April 2020 schließen. Infolge der behördlich angeordneten Betriebsschließung entrichtete die Beklagte für den Monat April 2020 keine Miete. Bisheriger Prozessverlauf: Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung der Miete für den Monat April 2020 in Höhe von 7.854,00 € verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Beklagte - unter Abweisung der Klage im Übrigen - zur Zahlung von nur 3.720,09 € verurteilt. Infolge des Auftretens der Corona-Pandemie und der staatlichen Schließungsanordnung auf Grundlage der Allgemeinverfügungen vom 18. bzw. 20. März 2020 sei eine Störung der Geschäftsgrundlage des Mietvertrags i.S.v. § 313 Abs. 1 BGB eingetreten, die eine Anpassung des Vertrags dahin gebiete, dass die Kaltmiete für die Dauer der angeordneten Schließung auf die Hälfte reduziert werde.
II.
Die Grunderwägungen des Urteils werden voraussichtlich wie folgt aussehen:

  1.     Ein Mietmangel wird ebenso wie Unmöglichkeit der Leistungserbringung verneint werden.
  2. Zur Frage eines Anspruchs des Mieters wegen „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“ (§ 313 BGB):

a) Es gibt keine pauschale Lösung; jeder Einzelfall muss separat beurteilt werden.

b) Die erste Stufe der Prüfung (Wegfall der Geschäftsgrundlage?) bei pandemiebedingter Schließung wird der BGH bejahen.

c) Zur zweiten Stufe der Prüfung: Das Gesetz sieht keine Risikozuweisung zu Lasten des Mieters vor. Es muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob sich etwas anderes aus den Formulierungen des Vertrags ergibt.

  1. Zudem muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob, und wenn ja in welcher Höhe, eine Mietanpassung überhaupt gerechtfertigt ist (ist der Mieter durch Onlinehandelsumsätze weniger abhängig vom stationären Geschäft? Auch werden alle kompensierenden Hilfen, die der Mieter erhalten hat und auch diejenigen, die er zwar nicht erhalten hat, aber hätte geltend machen können, berücksichtigt. Auch die Frage der Versicherbarkeit des Risikos durch den Mieter soll berücksichtigungsfähig sein. Darlegungs- und beweisbelastet hierfür ist der Mieter.

Die Linie des Bundesgerichtshofs soll eher restriktiv sein. Bejaht man einen Anpassungsanspruch im Einzelfall, wird die Anpassungshöhe nicht pauschal festgeschrieben werden, sondern kann durchaus im Einzelfall deutlicher geringer als 50 % ausfallen, ja sogar 0 % betragen. Wir werden nach Veröffentlichung der Entscheidungsgründe am 12.1.2022 berichten!