Europäischer Gerichtshof (EuGH): Mindestsätze der HOAI dürfen zwischen Privaten weiter angewendet werden

Trotz bereits festgestellter Unionsrechtswidrigkeit der Deutschen Regelung über die Mindesthonorare von Architekten sind nationale Gerichte, bei denen ein Rechtsstreit zwischen Privatpersonen anhängig ist, nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet, diese Regelung der HOAI unangewendet zu lassen. Die geschädigte Partei habe aber gegebenenfalls Anspruch auf Schadenersatz, entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Was war geschehen? Streit um Anwendbarkeit der HOAI-Mindestsätze

Dem Urteil liegt ein Streit über das Architektenhonorar aus einem Vertrag über Planerleistungen aus dem Jahr 2016 zugrunde, in dem die Parteien ein Pauschalhonorar vereinbart hatten. Wie so oft nach Streit der Parteien: Der Ingenieur kündigte den Vertrag, seine erbrachten Leistungen rechnete er nicht nach der geringeren Pauschale, sondern nach den HOAI-Mindestsätzen ab. Mit seiner Restwerklohnklage machte er einen Betrag geltend, der zusammen mit bereits geleisteten Zahlungen die vereinbarte Pauschalsumme überstieg. In den Instanzen bekam er Recht. Der mit der Revision der Beklagten befasste Bundesgerichtshof legte dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), der die deutsche Mindestsatz-Regelung in der HOAI, die der Ingenieur anwendete, wegen Verstoßes gegen die Dienstleistungsrichtlinie für europarechtswidrig erklärt hatte, zur Klärung vor: Er wollte wissen, ob ein nationales Gericht die streitige Regelung wegen der o.g. Europarechtswidrigkeit unangewendet lassen müsse; in dem streitigen Fall sei eine mit der Dienstleistungsrichtlinie konforme Auslegung der HOAI nicht möglich.

Wie urteilt der EuGH?

Deutsche Gerichte dürfen die (an sich europarechtswidrige!) HOAI-Mindestsatz-Regelung weiter zu Gunsten des Planers anwenden. Der EuGH entscheidet, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstehen, nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet sei, eine nationale Regelung unangewendet zu lassen, die unter Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Dienstleistungsrichtlinie Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren festsetzt und die Unwirksamkeit von Vereinbarungen (vorliegend: die o.g. Pauschalvergütung entgegen der Mindestsatzvorschrift!) vorsieht, die von dieser Regelung abweichen. Die nationalen Gerichte seien grundsätzlich verpflichtet, wegen des Vorrangs des Unionsrechts, europarechtswidrige Bestimmungen des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis heraus nicht anzuwenden. Etwas anderes gelte nur, wenn die europarechtlichen Vorgaben keine unmittelbare Wirkung hätten. Dies sei vorliegend nicht anzunehmen. Allerdings würde die Anwendung von Art. 15 Abs. 1 der Dienstleistungsrichtlinie im Ausgangsrechtsstreit dem Kläger das Recht nehmen, ein Honorar in der Höhe einzufordern, die dem in den fraglichen nationalen Vorschriften vorgesehenen Mindestsatz entspricht. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs schließe aus, dass dieser Bestimmung im Rahmen eines solchen Rechtsstreits zwischen Privaten eine solche Wirkung zuerkannt werden könne.

Steine statt Brot für den Auftraggeber: Er wird sich fragen: nützt mir dann überhaupt etwas, dass der EuGH die Vorschrift zuvor als europarechtswidrig beurteilt hat? Der EuGH antwortet: Die geschädigte Partei kann sich unbeschadet des o.g. Ergebnisses auf die o.g. Rechtsprechung des Gerichtshofs berufen, um gegebenenfalls von der Bundesrepublik den Ersatz eines durch diese Unvereinbarkeit entstandenen Schadens zu erlangen. Urteil vom 18.01.2022, Rs. C-261/20