Ansprüche des Auftragnehmers gegen den Auftraggeber aus § 642 BGB in Zeiten der Pandemie

Bestehen Ansprüche eines Auftragnehmers gegen seinen Auftraggeber, weil dieser ein für den Auftragnehmer notwendiges Vorgewerk pandemiebedingt nicht bereitstellen kann?

Der Erlass des Bundesministeriums des Innern vom 23. März 2020 nimmt u.a. Stellung zu bauvertraglichen Fragen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf unsere Mitteilung vom 16. März 2020 hier.

Der Erlaß bestätigt unsere o.g. Hinweise: die Corona-Pandemie sei grundsätzlich geeignet, den Tatbestand der "höheren Gewalt" i.S.v. § 6 Abs. 2 Nr. 1c) VOB/B auszulösen- aber es sei immer konkret zu prüfen, ob deren Voraussetzungen vorlägen. „Höhere Gewalt“ ist per Definition ein Ereignis, das der Sphäre keiner der Vertragsparteien zuzuordnen ist, sondern von außen auf die Lebensverhältnisse der Allgemeinheit oder einer unbestimmten Vielzahl von Personen einwirkt und objektiv unabwendbar sowie unvorhersehbar ist. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, muß derjenige vortragen im Streitfall beweisen, der sich darauf beruft. Der Erlaß teilt auch unsere Darstellung, bei höherer Gewalt verlängerten sich die Ausführungsfristen gem. § 6 Abs. 4 VOB/B.

Wir zitieren aus dem Erlaß: "Bei höherer Gewalt gerät auch der Auftraggeber nicht in Annahmeverzug; die Voraussetzungen des § 642 BGB liegen nicht vor (vgl. BGH, Urteil vom 20.4.2017, Az. VII ZR 194/13 hier (die dortigen Ausführungen zu außergewöhnlich ungünstigen Witterungsverhältnissen sind nach hiesiger Ansicht - erst recht - auf eine Pandemie übertragbar). Das gilt insbesondere auch für Fallkonstellationen, in denen ein Vorgewerk aufgrund höherer Gewalt nicht rechtzeitig erbracht werden kann und nun der Auftragnehmer des nachfolgenden Gewerks deswegen Ansprüche wegen Behinderung gegen den Auftraggeber erhebt."

Wir halten diese Ausführungen für zu allgemein. Wie schon am 16. März mitgeteilt, ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Ausführung von Leistungen konkret pandemiebedingt beeinträchtigt wurde.

Ansprüche aus § 642 BGB können demnach auch im Pandemiefall entstehen. Der BGH urteilt in der o.g. Entscheidung: Der Vertrag regele nicht, dass der Auftraggeber (AG) für die Dauer des Herstellungsprozesses äußere Einwirkungen in Form von Frost, Eis und Schnee auf das zur Verfügung gestellte Baugrundstück abwehren mußte. Eine allgemeine Risikozuweisung zu Lasten des AG bezogen auf außergewöhnlich ungünstige Witterungseinflüsse auf das Baugrundstück ergebe sich auch nicht aus dem Gesetz. Wir halten jenen Fall nicht mit der Beeinträchtigung aufgrund einer Pandemie vergleichbar. Sofern eine Pandemie den Vorunternehmer an der rechtzeitigen Erbringung seiner Leistungen hindert, sind notwendige Mitwirkungshandlungen des AG für das nachfolgende Gewerk nicht erbracht- und darauf kommt es in § 642 BGB an. Eine Pandemie betrifft die erforderlichen Mitwirkungshandlungen des AG keinesfalls „automatisch“. Danach erst ist zu prüfen, ob der AG die Mitwirkungshandlung verschuldet (Annahmeverzug !) unterläßt. Die Feststellung des Erlasses, bei höherer Gewalt gerate der AG nicht in Annahmeverzug, was sich aus den Feststellungen des o.g. Urteils ergebe, ist deshalb zweifelhaft. Der Erlaß übersieht auch: im Einzelfall ist immer zu prüfen, ob der angeblich beeinträchtigte Auftragnehmer (AN) selbst leistungsfähig und leistungsbereit ist, vgl. § 297 BGB. Ist er hingegen selbst pandemiebedingt nicht in der Lage, Personal zu stellen oder benötigtes Baumaterial zu liefern und zu verbauen, fehlt es am Annahmeverzug des AG.