Der Bundesgerichtshof (BGH), die Abrechnung fiktiver Mängelbeseitigungskosten und die Ausnahme vom Grundsatz


Anmerkung zur Entscheidung des OLG Köln vom 19.10.2022, 11 U 247/21

In unserer Besprechung der epochalen Entscheidung des BGH vom 22.2.2018 (hier) haben wir die neu geltenden Grundsätze zur Schadensberechnung zusammengefasst. Sie gelten weiterhin. Die dort abgelehnte Abrechnung fiktiver Mängelbeseitigungskosten gilt nach Ansicht des OLG Köln indes nicht für Mangelfolgeschäden. Das OLG Oldenburg hat dies in seinem Urteil vom 20.11.2018 (2 U 37/17) allerdings anders beurteilt. Deshalb ist gegen die Entscheidung des OLG Köln die Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH eingelegt worden. (VII ZR 215/22).
Die Rechtsauffassung des OLG Köln: Fiktive Kosten abzurechnen anstatt eine Vorschussklage einzureichen sei möglich, soweit es um Mangelfolgeschäden gehe. Denn die Rechtsprechung des BGH zum Ausschluss fiktiver Mängelbeseitigungskosten gelte nicht für Mangelfolgeschäden an Bauteilen außerhalb des Gewerks des Auftragnehmers. Diese beträfen nicht das Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, sondern das so genannte Integritätsinteresse. Die Kosten ihrer Beseitigung seien nicht vom Nacherfüllungsanspruch und vom Vorschussanspruch erfasst.
OLG Köln, Beschluss vom 19.10.2022, 11 U 247/21

Was war geschehen?

Der Bauherr (nachfolgend: AG) beauftragt u.a. einen Rohbauer (R) und einen Dachdecker (D). Beide Gewerke weisen Mängel auf, Rs Gewerk enthält eine mangelhafte Sockelabdichtung, Ds Gewerk mangelhafte Abdichtungen an Türen. Wegen der Mängel dringt Feuchtigkeit ein und es bildet sich Schimmel. Das macht umfangreiche Sanierungsarbeiten erforderlich. Das Landgericht spricht Schadensersatz von rund 48.000 Euro zu, die AG auf Grundlage eines bloßen Sanierungsangebots fordert. Das Angebot verhält sich indes nur über Kosten für die Beseitigung des Schimmels in anderen Bauteilen (Putz, Estrich mit Dämmung, ...) und betrifft nicht die Beseitigung der von R und D verursachten Mängel an sich.

Wie entscheidet das OLG Köln?
Es spricht die Forderung in vollem Umfang zu. Denn der AG verlangt Ersatz für Mangelfolgeschäden, die sein Integritätsinteresse betreffen. Für solche Schäden gilt die Rechtsprechung zum Ausschluss fiktiver Mängelbeseitigungskosten nicht. Diese Rechtsprechung gründet auf der Wertung, dass der AG, der die Mängelbeseitigung durchführen will, durch den Vorschussanspruch gem. §§ 634, 637 BGB vor der Notwendigkeit einer Vorfinanzierung geschützt ist. Für Mangelfolgeschäden wie in unserem Fall besteht dieser Anspruch aber gerade nicht.
Versagte man dem AG die Abrechnung fiktiver Kosten hierfür, zwänge man ihn zur Vorfinanzierung verknüpft. Da das Bauwerk von Anfang an mangelhaft ist, betreffen auch im Bauwerk realisierte Planungs- und Überwachungsfehler nicht das Integritätsinteresse, sondern das Leistungsinteresse.

Praxistipp:
Es läuft ein Verfahren beim BGH, das wegen der divergierenden Entscheidungen der beiden Oberlandesgerichte hoffentlich Klarheit bringt. So lange sollte man sicherheitshalber über Verjährungseinredeverzichtserklärungen der Beteiligten o.ä. „schieben“. Wir beraten Sie über Handlungsvarianten.
Entscheidung des OLG Köln vom 19.10.2022, 11 U 247/21 (NZB BGH VII ZR 215/22)
OLG Oldenburg, Urteil vom 20.11.2018, 2 U 37/17, BGH, Beschluss vom 16.12.2020 - VII ZR 263/18 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)