Bundesgerichtshof zu Beweisanträgen und rechtlichem Gehör

Antrag auf Anhörung eines Sachverständigen und Anspruch auf rechtliches Gehör

Die Parteien eines Beweisverfahrens und eines Klageverfahrens dürfen immer verlangen, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für wesentlich erachten, in einer mündlichen Anhörung stellen. Unerheblich ist dabei, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob das schriftliche Gutachten Mängel aufweist. Beschluß des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 6.3.2019, Az. VII ZR 303/16.

Was war passiert?
Ein Bauunternehmer (B) errichtete eine Wohnungseigentumsanlage nebst Tiefgarage. Die klagende Wohnungseigentümergemeinschaft (W) forderte u. a. einen Kostenvorschuss, weil der Aufbau und die Entwässerung des Tiefgaragenbodens gegen die anerkannten Regeln der Technik verstoßen. Es folgt ein selbständiges Beweisverfahren. In diesem Verfahren legt der Sachverständige (S) ein schriftliches Gutachten und drei schriftliche Ergänzungsgutachten vor. Er bestätigt die Mängel. Der B stellt im nachfolgenden Hauptsacheverfahren vor dem Landgericht den Antrag, den Sachverständigen mündlich anzuhören, gleichwohl verurteilen ihn das Landgericht und das OLG zur Zahlung eines Kostenvorschusses, ohne dem Antrag nachzukommen. Der B legt deswegen Revision ein.

Wie entscheidet der BGH?
Er rügt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 des Grundgesetzes und verweist die Sache an das OLG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück. Denn dieser Anspruch auf rechtliches Gehör umfaßt auch Beweisanträge. Solche Anträge darf ein Gericht nur in begründeten Ausnahmefällen ablehnen. Eine solche Ausnahme liegt nicht vor. Ob das Gericht selbst noch Erklärungsbedarf sieht oder das Gutachten Mängel aufweist, ist in diesem Zusammenhang unerheblich.

Praxishinweis
Zunächst sollte jeder darauf achten, die einschlägigen formellen Anforderungen zu erfüllen: Die Partei, die Ergänzungsfragen schriftlich oder, wie vorliegend, mündlich, stellt oder stellen will, muß dies innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist beantragen. Will sie anhören, muß sie den Themenkomplex, zu dem sie befragen will, benennen respektive die allgemeine Richtung ihrer Beanstandungen angeben. Die für diese geforderte Anhörung geplanten Fragen muß sie hingegen nicht schon in ihrem Antrag voll ausformuliert, quasi „mundgerecht aufbereitet“ vorlegen.

Der BGH bestätigt mit dieser Entscheidung seine ständige Rechtsprechung: Hat die Partei die o.g, Voraussetzungen erfüllt, muß das Gericht den gem. Artikel 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verbrieften Anspruch, Fragen an einen Zeugen oder Sachverständigen stellen zu dürfen, erfüllen. Dieses Antragsrecht darf es nur unter den Gesichtspunkten des Rechtsmissbrauchs und der Prozessverschleppung einschränken. Beispiel: Nur wenn der Antrag auf mündliche Anhörung bei einem ansonsten überzeugenden Gutachten gar nicht oder mit der Ankündigung abwegiger oder bereits eindeutig beantworteter Fragen begründet wird, erscheint eine Zurückweisung möglich. Bei der Annahme eines solchen Ausnahmefalls ist aber äußerste Zurückhaltung geboten. Zu beachten ist ferner, dass eine Partei auch dann noch auf eine mündliche Anhörung bestehen kann, wenn sie zunächst mit einer schriftlichen Ergänzung des Gutachtens einverstanden war. Und: das Gericht muß den Parteien auch nach einer mündlichen Erläuterung des Gutachtens je nach deren Umfang und Bedeutung eine angemessene Frist zu einer weiteren Stellungnahme einräumen und erforderlichenfalls auf Antrag oder von Amts wegen eine zweite mündliche Erläuterung anordnen! Insbesondere angesichts der geringen Beliebtheit des selbst. Beweisverfahrens bei den Instanzgerichten lohnt es, besonders in jenen Verfahren deutlich auf die o.g, Rechtsprechung des BGH hinzuweisen, wenn man den Antrag auf Anhörung stellt!