Corona- Pandemie: Einige Gedanken zu Auswirkungen auf Bauverträge

Anknüpfungspunkt für Vertragsanpassungen: Der Begriff der „Höheren Gewalt“

Die Corona-Krise ist vorbehaltlich im Einzelfall zu berücksichtigender Umstände grundsätzlich wohl als ein Fall der so genannten höheren Gewalt einzustufen. Was ist „höhere Gewalt“? Das ist ein Ereignis, das der Sphäre keiner der Vertragsparteien zuzuordnen ist, sondern von außen auf die Lebensverhältnisse der Allgemeinheit oder einer unbestimmten Vielzahl von Personen einwirkt und objektiv unabwendbar sowie unvorhersehbar ist. Seit die WHO die Corona-Krise am 11.3.2020 als Pandemie eingestuft hat, ist grds. von höherer Gewalt auszugehen. Erfaßt werden insbesondere Situationen, durch die die Leistungserbringung unzumutbar gestört oder gar unmöglich geworden ist (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 79. Aufl., § 313 BGB Rz. 32). Konkrete Fälle sind erhebliche Schwierigkeiten mit Materiallieferungen und der Ausfall von Arbeitskräften, die pandemiebedingt in Quarantäne gehen müssen, nicht mehr erreichbare Baustellen in Risikogebieten und Einschränkungen des Warenverkehrs. In dieser o.g. Definition wird zugleich die erwähnte Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung angedeutet: Haben die Parteien etwa kurz vor diesem Datum oder gar danach einen Vertrag geschlossen, dürfte es an der „Unvorhersehbarkeit“ als Merkmal der „höheren Gewalt“ fehlen. Ein angeblich beeinträchtigter Vertragspartner muß konkret darlegen, wie die Pandemie die konkreten Bauleistungen beeinflußt ("Personal ist erkrankt", "Material wird wegen Stillegung eines Betriebs nicht mehr geliefert", ...) Schon das geringste Verschulden kann höhere Gewalt ausschließen.

Störungen des Bauablaufs
In Fällen höherer Gewalt wird die bei der Leistungserbringung beeinträchtigte Vertragspartei zunächst zeitlich beschränkt von ihren vertraglichen Leistungspflichten frei. Die VOB/B regelt dies in § 6 Absatz 2 Nr. 1. Für den BGB- Werkvertrag definiert § 313 BGB die Voraussetzungen für Vertragsanpassungen. Der Vertragspartner kann daraus keine Ansprüche wie Schadensersatz o.ä. herleiten.

Einfluß vertraglicher Regelungen
Die Rechtsfolgen von höherer Gewalt sind aber nicht nur an den o.g. gesetzlichen bzw. in der VOB/B (sofern vereinbart) genannten Regelungen zu messen, sondern in jedem Einzelfall unter Beachtung der gesamten vertraglichen Vereinbarungen. Exemplarisch zu nennen sind ausdrückliche „Force-Majeure-Klauseln“.

Vertragsstrafen und Verzugsschäden
Die VOB/B regelt, daß bei höherer Gewalt die Ausführungsfristen, seien sie strafbewehrt oder nicht, verlängert werden. In Extremfällen sind diese Fristen gar vollkommen neu zu vereinbaren.

Der Auftraggeber kann keine Vertragsstrafe und keinen Verzugsschaden geltend machen, wenn der Auftragnehmer die ursprünglichen Termine aus o.g. Gründen nicht einhält. Bitte beachten: Es ist auch wegen des o.g. Vorrangs spezieller vertraglicher Regelungen eine Einzelfallprüfung notwendig!

Anpassung oder Auflösung des Vertrags und Kündigungsrecht

In Ausnahmefällen ist sogar eine vollständige Auflösung des Vertragsverhältnisses nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB möglich. Die Vorschrift regelt, dass bei gravierenden Sondersituationen ein Festhalten am Vertrag unzumutbar und nicht sachgerecht wäre (Palandt-Grüneberg BGB, 79. Aufl., § 313 BGB, Rn. 42). Wegen der erheblichen Auswirkungen steht dies unter der Bedingung, dass eine Vertragsanpassung nicht ausreicht, weil sie, etwa durch Leistungsänderung oder Terminsverschiebung, das ursprüngliche Risikogefüge nicht mehr wiederherstellen kann. Wir weisen ferner auf § 6 Abs. 7 Satz 1 VOB/B hin: dauert die Unterbrechung der Bauausführung länger als drei Monate oder steht sicher fest, dass eine Unterbrechung von mehr als drei Monaten unvermeidbar ist, steht Auftragnehmer wie Auftraggeber ein Kündigungsrecht zu!

Praxistipp
Sind Beeinträchtigungen in Sicht, raten wir dem Auftragnehmer, frühzeitig schriftlich Behinderung der Ausführung im Sinne von § 6 Absatz 1 VOB/ anzuzeigen. Die Anzeige muß detailliert beschreiben, welche Auswirkungen die Corona-Krise auf die ganz konkrete Vertragserfüllung hat. Der Auftraggeber wird angesichts der Gesamtsituation, ihrer unbestimmten Dauer und der schon vor der Pandemie hohen Auslastung der Baubranche gut überlegen müssen, ob er kündigt oder den Vertrag einvernehmlich auflöst- schneller wird er sein Projekt damit auch nicht abschließen können.