EuGH- Urteil vom 04.07.2019 und die Reaktion deutscher Gerichte, die Fünfte:

OLG Schleswig zur Anwendbarkeit der Mindestsätze der HOAI in Altfällen

Die Mindestsätze der HOAI sind wegen Verstoßes gegen europäisches Gemeinschaftsrecht auch in Altfällen nicht mehr anwendbar, Urteil des OLG Schleswig vom 25.10.2019, 1 U 74/18 (nicht rechtskräftig).

Der Kontext der Entscheidung
Das OLG hatte wie zuvor schon mehrere andere Oberlandesgericht in verschiedenen zugrunde liegenden Konstellationen (vergleiche unsere Kommentierung vom …) darüber zu entscheiden, welchen Einfluß das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 04.07.2019 auf die Anwendung der Honorarordnung der Architekten und Ingenieure (HOAI) hat.
Nach der Entscheidung des EuGH ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten, welche Folgen das Urteil auf laufende Honorarprozesse hat. Das OLG Celle und das OLG Düsseldorf vertreten die Auffassung, deutsche Gerichte dürften eine europarechtswidrige Norm nicht mehr anwenden. Deshalb sei der Planer gehindert, sich von einer einmal getroffenen Pauschalhonorarvereinbarung zu lösen, um den Mindestsatz geltend zu machen. Nach der Gegenauffassung (Urteile des OLG Hamm, des Kammergerichts Berlin und des OLG München, hier) sollen die Mindest- und Höchstsätze zwischen Privaten bis zu einer Änderung der HOAI weiterhin anzuwenden sein.
Wie urteilt das Gericht?
Das Oberlandesgericht Schleswig folgt der Auffassung des OLG Celle und der des OLG Düsseldorf. Aus der EuGH-Entscheidung resultiere die Verpflichtung für die Gerichte, die für unionsrechtwidrig erkannte Norm nicht mehr anzuwenden. Die somit für die nationalen Gerichte bindende Auslegung wirke sich auch auf bestehende Vertragsverhältnisse aus, wenn dort in Abweichung zu einem vereinbarten Honorar ein Mindestsatz der HOAI durchgesetzt werden soll. Das führe dazu, dass Honorarvereinbarungen nicht deshalb unwirksam seien und der Mindestsatzfiktion des § 7 Abs. 5 HOAI unterfielen, weil das Mindesthonorar unterschritten wurde, wenn ansonsten eine wirksame Honorarvereinbarung vorliegt.
Praxistipp
Das Oberlandesgericht läßt die Revision "zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung" zu. Inzwischen sind bereits zwei Revisionsverfahren zu der zwischen den Oberlandesgerichten streitigen Frage, welche Auswirkungen das EuGH-Urteil auf laufende Honorarprozesse hat, beim Bundesgerichtshof anhängig (Aktenzeichen. VII ZR 179/19 und VII ZR 205/19). Bis zu dessen Entscheidung raten wir dazu, in Fällen drohender Verjährung beispielsweise Maßnahmen zur Verjährungsunterbrechung zu treffen.

Grundsätzlich gilt: sog. "Aufstockungsklagen" dürften weiterhin möglich sein, wenn Honorarvereinbarungen nicht schriftlich oder nicht bei Auftragserteilung gem. § 7 Abs. 5 HOAI geschlossen wurden. Denn diese Regelung ist vom Tenor der Entscheidung des EuGH nicht betroffen. Grund hierfür ist, dass diese Vorschrift keinen Preisrahmen zwingend vorgibt, sondern nur eine Rechtsfolge (nämlich die Geltung der Mindestsätze) eines Formverstoßes verbindlich regelt.