Gestörte Lieferketten und Corona- Pandemie: Praktische Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern von Bauleistungen bei Mangelansprüchen
- Dem Werkunternehmer ist grundsätzlich eine angemessene Frist für die Mängelbeseitigung einzuräumen, es sei denn, dass er, der Auftragnehmer (AN), die Mängelbeseitigung ablehnt oder andere Gründe vorliegen, die eine Fristsetzung entbehrlich machen. Was aber ist "angemessen"? Die Dauer dieser Frist muss sich nach dem Einzelfall ausrichten. Zu berücksichtigen sind dabei die Vorbereitungszeit für die Materialbeschaffung, für die Einholung eines gegebenenfalls erforderlichen sachverständigen Rates, für die Einrichtung der Baustelle sowie die Koordinierung notwendiger Arbeiten anderer Unternehmer.
Auf der anderen Seite ist das Interesse des Auftraggebers (AG) an der zügigen und nachhaltigen Mangelbehebung angemessen zu werten. Hierbei spielt beispielsweise eine Rolle, ob bei verzögerter Nachbesserung Folgeschäden (beispielsweise durch eindringende Feuchtigkeit) drohen. Ist das Bauwerk noch nicht abgeschlossen oder drohen Folgeschäden, so wird die dem Unternehmer zu gewährende Zeitspanne für die Mängelbeseitigung geringer sein, als bei einem fertiggestellten Gebäude. Maßgebliches Gewicht hat jeweils die Art des Mangels. Erfordert die Nachbesserung umfangreiche und schwierige Arbeiten, die beispielsweise gewerkübergreifend stattfinden müssen und auch die Koordination durch einen Fachplaner erfordern, so gilt: Von einem Unternehmer muss erwartet und verlangt werden, dass er bei einer entsprechenden Aufforderung des Auftraggebers die Nacherfüllungsarbeiten zu beginnen, schleunigst, jedenfalls binnen zumutbarer Frist, mit der Nachbesserung beginnt und sie zügig vollendet (Bundesgerichtshof (BGH), abgedruckt in Baurecht 1982, 496 betreffend Undichtigkeit eines Dachs).
- Diese Vorgaben der Rechtsprechung muß man derzeit in einem besonderen Licht sehen: In Zeiten der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges sind viele Lieferketten gestört und die Materialbeschaffung ist gegenüber dem Normalfall oft erheblich erschwert. Die Personalstärke ist aufgrund von Quarantänemaßnahmen und Langzeiterkrankungen zum Teil sehr dünn. Ohnehin besteht, wie in anderen Branchen auch, eine größere Personalknappheit als früher. Als ein Beispiel aus der Praxis mag dienen, dass die Neuanfertigung von Fensteranlagen, die üblicherweise im Ausland stattfindet, mehrere Monate in Anspruch nehmen kann.
Der AG muß deshalb bei der Frage, welche Frist zur Nachbesserung angemessen ist, großzügig bemessen und nicht voreilig nach Ablauf vermeintlich ausreichender Fristen zur Selbstvornahme schreiten. Man mag einwenden, dass in heutigen Zeiten eine Ersatzvornahme nach zwei Wochen schon allein dadurch unmöglich ist, dass auch der AG bei der Suche nach einem die Ersatzvornahme durchführenden Drittunternehmen auf volle Auftragsbücher und entsprechend lange Wartezeiten verwiesen werden dürfte. Trotzdem: der ungeduldige AG sollte sich bewußt sein: Eine vorzeitige Zurückweisung eines vermeintlich zu spät mitgeteilten Nachbesserungsangebots des AN ist gefährlich. Denn im Ergebnis bedeutet eine vorzeitig abgelehnte Nachbesserung durch den AN und spiegelbildlich eine frühzeitige Ersatzvornahme schlimmstenfalls, dass ein Gericht im Streitfall die Angemessenheit der Fristsetzung verneint und den Anspruch auf Erstattung von Ersatzvornahmekosten (oder alternativ eines Vorschussanspruchs) abweist.
- Praxistipp: Sofern es sich nicht um Nachbesserungsarbeiten handelt, die bei Verzögerung Folgeschäden oder eine Schadensvertiefung bedeuten, sollte der AG sicherheitshalber großzügige Nachbesserungsfristen setzen. Eine sehr genaue Betrachtung des Einzelfalls ist stets erforderlich. So war es auch schon vor Corona und dem Ukraine-Krieg: Wir denken an witterungsabhängige Nachbesserungsarbeiten: eine Frist von 14 Tagen mag für die reine Ausführungszeit ausreichen- Wenn aber eine Hitzewelle neu aufgebrachten Außenputz verbrennen würde oder Betonarbeiten im Außenbereich an Minusgraden scheitern, haben die Gerichte stets zu Gunsten der Auftragnehmer geurteilt, denen zu kurze Nachbesserungsfristen eingeräumt wurden!