Schimmelkontamination als Baumangel des Neubaus. Unverhältnismäßigkeit der Mangelbeseitigung?

Kommentierung des Urteils des OLG Naumburg vom 11.7.2019, Az.: I U 116/18**

Was war geschehen?
Das Oberlandesgericht stärkt die Rechte von Erwerbern neu errichteter Immobilien und fordert damit zugleich alle Bauträgergesellschaften heraus, Vorkehrungen zu treffen2.
In der von der Klägerin erworbenen Wohnung kam es zu einem Wassereinbruch in die Baukonstruktion. Auch die unter dem Estrich eingebaute Dämmung wurde durchfeuchtet. In mindestens fünf Zimmern hat die Klägerin durch ihren Privatsachverständigen eine Belastung mit Schimmelpilzsporen festgestellt. Sie fordert die Beklagten erfolglos zur Sanierung der gesamten Fußbodenkonstruktion in der Wohnung auf. Sodann klagt sie auf Vorschuss nach § 637 III 3 BGB wegen der zu erwartenden Kosten der Sanierung des Bodens.

Wie entscheidet das Oberlandesgericht?
Es urteilt: die Verkäuferin sei jedenfalls stillschweigend verpflichtet, eine funktionstaugliche Wohnung herzustellen. Diese müsse geeignet sein, in ihr ohne (bekannte) gesundheitliche Risiken auf Dauer leben zu können. Schimmelwachstum in Innenräumen sei ein Gesundheitsrisiko und ein hygienisches Problem. Dies sei jedenfalls in einer neu errichteten Wohnung als Mangel zu behandeln, wenn die normale Hintergrundbelastung, die der im o.g. Verfahren bestellte Sachverständige unter Hinweis auf die Erkenntnisse des Umweltbundesamts mit 10.000 KBE/g angegeben hat, überschritten werde.

Das Urteil steht in der Tradition einer weiteren, jüngeren obergerichtlichen Entscheidung des OLG München (noch nicht rechtskräftig, Urteil vom 30.01.20183). Auch das OLG München urteilt: bereits eine Schimmelbelastung von Baustoffen, die eine Konzentration von 10.000 KBE/g (d.h. koloniebildende Einheit je Gramm; Kolonien entsprechen weitgehend keimfähigen Sporen) übersteigt, ist nicht mehr mit der natürlichen Hintergrundbelastung zu rechtfertigen. Vielmehr führt das Erreichen dieses Wertes zu einem Mangel der Werkleistung und eröffnet dem Besteller die Mangelhaftungsansprüche.
Offensichtlich orientieren sich beide Oberlandesgerichte an der Neufassung des Schimmelleitfadens des Umweltbundesamts aus Dezember 2017 (hier). Er hat neuere Erkenntnisse sowohl in innenraumhygienischer wie in gesundheitlicher Hinsicht verarbeitet. Während der BGH in seinem Dachstuhlurteil aus dem Jahr 2006 (Az.: VII ZR 274/04) noch darauf abstellte, „dass es dahinstehen kann, ob von dem mit Schimmelpilz befallenen Dachstuhl (auch) gesundheitliche Gefahren ausgehen“, stellt nun der neue Schimmelleitfaden klar, dass „Schimmelwachstum im Innenraum als Gesundheitsrisiko zu betrachten“ ist7. Nach Ansicht des Umweltbundesamts ist bei Feuchte- und Schimmelschäden in Fußbodenkonstruktionen eine Schimmelpilzkonzentration unterhalb von 10.000 KBE/g unauffällig und ein relevanter Befall liegt nicht vor8. Überschreiten die Konzentrationen diesen Wert jedoch, liegt ein sog. geringer Befall vor und wird schließlich eine Konzentration von 100.000 KBE/g überschritten, spricht man von einem eindeutigen Befall9.

Schließlich: Dem Kostenaufwand für die Mängelbeseitigung kann die Bauträgerin auch nicht die Unverhältnismäßigkeit der Kosten einer Mängelbeseitigung entsprechend § 635 Abs. 3 BGB entgegenhalten.

Welche Konsequenzen folgen hieraus?

Wird Schimmelbefall oberhalb der o.g. Konzentration festgestellt, liegt in technischer und rechtlicher Hinsicht ein Mangel vor. Der Erwerber muss dies nicht hinnehmen. Der Mangel ist so erheblich, dass er der Abnahmefähigkeit der Immobilie entgegensteht. Es entsteht eine „Pattsituation“: Aufgrund eines Zurückbehaltungsrechts des Erwerbers wird die letzte Zahlungsrate gemäß Bauträgervertrag nicht fällig, infolgedessen wird auch das Eigentum nicht umgeschrieben. Der Erwerber hat Anspruch auf die vollständige Sanierung der Wohnung, was häufig den kompletten Rückbau der betroffenen Teilflächen bedeutet. Setzt er hierfür eine angemessene Frist, kann er nach deren Ablauf bestimmte Rechte geltend machen. Welche dies sind, hängt davon ab, ob eine Abnahme der Wohnung noch aussteht (dies dürfte der Regelfall sein) oder nicht. Hierzu beraten wir Sie gerne.
Der Erwerber muss sich auch nicht darauf verweisen lassen, dass die Kosten der Mängelbeseitigung unverhältnismäßig seien. Der Mangel ist in jedem Fall vollständig zu beseitigen. Bauträger werden deshalb schnellstmöglich eine umfassende Sanierung und anschließende Beprobung durchführen müssen sowie parallel dazu den ausführenden Fachunternehmer oder den Verursacher des Wasserschadens zur Beseitigung auffordern um zur Abnahmereife zu gelangen und Bezugsfertigkeitsfristen einzuhalten.

2 ↑ OLG Naumburg, Urteil vom 11.07.2019 - 1 U 116/18, IBRRS 2019, 2742.
3 ↑ OLG München, Urteil vom 30.01.2018 - 28 U 2778/16 Bau, und Urteil vom 30.01.2018 - 28 U 105/17 Bau, Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.
7 ↑ Schimmelleitfaden, S. 37.
8 ↑ Schimmelleitfaden, Anlage 6, S. 163.
9 ↑ Schimmelleitfaden, Anlage 6, S. 163.